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Das Phänomen Erinnerung – Beobachtungen zu Doreen Schwarz` Arbeiten

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/// Doreen Schwarz /// Archiv: „Mutter/Kind“ 2010/2011, Fotoabzüge, montiert und umkopiert, Dokumentenpapier, 18 x 24 cm ///

Vertraute Motive werden zerschnitten, übereinander gelegt und wieder neu zusammengesetzt. Einzelne Fragmente bekommen während ihrer Neuplatzierung einen ungewohnten Ort zugesprochen, sodass diese in Kommunikation zu ihrem unbekannten Umfeld treten können. Die einzelnen Elemente werden collagiert oder parallel zueinander positioniert. Eine Spannung entsteht, die sich überraschend im Rezipienten entlädt.

Doreen Schwarz verfremdet ihre Fotografien indem sie diese auf Fotopapier legt und erneut belichtet. Durch die Wiederholung des Belichtungsprozesses löst sich das Bildmotiv immer mehr auf. Im Gegenzug erscheinen neue Strukturen auf den gegenständlichen Oberflächen der Abbildungen. Konstruktionen und Kompositionen, die sich im Alltag wieder finden lassen, werden von der Künstlerin immer wieder reproduziert und unterschiedlich zusammengesetzt. Die Fragmente ergeben neue Strukturen und Formen, sodass stets neue Sichtweisen entstehen.

Die sich überlagernden Bildteile ähneln in ihrer Anordnung den eigenen Erinnerungen. Ein Moment wird durch das Fotografieren eingefangen, auf das Filmmaterial gebannt und als Abzug konserviert. Körperhaltung und Mimik bleiben für den Betrachter erhalten. Einige Motive wiederholen sich, sind jedoch mit einer immer wieder neu erlernten Formensprache ausgestattet. Die wechselnden Anordnungen der Motive brechen stets die alltäglichen Sehgewohnheiten. Ambivalent stehen diese zueinander, auch in ihrer Erscheinungsform. Kommunikativ oder schweigend.

Es sind scheinbar Rückblenden in Schwarzweiß, die nicht immer der Realität entsprechen und emotional behaftet sind – in der Form einer Erinnerung gleich. Die Erinnerung durchläuft meist eine Metamorphose. Unwichtiges entfällt, subjektiv Wichtiges wird hervorgehoben oder dramatisiert, letztlich defragmentiert, neu zusammengesetzt und schließlich erweitert und abgespeichert. Die Irritation, die die Bildmotive hervorrufen, ist in der Wahl des Mediums begründet – der bewussten Entscheidung für die analoge Schwarzweißfotografie, impliziert sie doch die Seriosität und die Wahrheitstreue. Der Umgang mit ihr spielt mit den Konventionen und regt den Rezipienten zur Selbstreflexion an.

Vor allem die Negative und Abzüge, die motivisch aus einem Familienalbum stammen könnten, lassen eine gewisse Nähe zur Erinnerung des Selbsterlebten beim Betrachter entstehen: das auf Papier gebannte Familienidyll. Mutter-Kind-Szenerien, die beispielsweise an ikonographische Madonnenbildnisse erinnern.

Die Künstlerin erschafft sich einen eigenen Kosmos, in dem sie ihre Begebenheiten und Erzählungen zeigen, erweitern und bewahren kann. Dabei bleiben ihre Fotografien stets mit der Realität verbunden. Sparsam gesetzte Farbelemente und textbezogene Arbeiten unterstreichen diese Selbstreflexion.

Als eine logische Konsequenz mit dem Umgang des Phänomens Erinnerung, defragmentiert die Künstlerin ihr eigenes Abbild und reiht sich somit in den sich wandelnden Prozess ein: zerschnitten, collagiert und wieder neu zusammengesetzt.

Erschienen in: KRISTEL 01 – Das Magazin von Studierenden der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig, 1. Ausgabe, (Hrg.) Lena Lamprecht/ Marlene Bart. Braunschweig 2013. S. 54.

Sowie weitere Informationen zu Doreen Schwarz.

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